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Gevatter Tod - ein Bericht

Der Tod ist ein extrem starkes hypnotisches Motiv. Tabuisiert und verdrängt schwebt er, lauernd, in der Gedanken- und Gefühlswelt eines jeden von uns. Der Tod taucht zuweilen auch spontan als eigenständiges Motiv in tiefen Trancezuständen auf – dramatisch und überwältigend, kaum steuerbar. Hinrichtungsszenen, Zerstückelungszeremonien, oder physische Auflösungsprozesse bedrängen den Hypnotisanden – diese Vorgänge gehen mit starken Gefühlen einher – der Patient kann das Gefühl entwickeln, dass er wirklich zu Sterben beginnt. Solche Erlebnisse sind therapeutisch ausgesprochen wertvoll – traumatisierendes biografisches Material schiebt sich in den Aufmerksamkeitsfokus des Patienten und spiegelt unverblümt wesentliche Teile seiner Biografie wieder. Diese starke Affektwelle trägt einen klärenden, fast reinigenden Charakter in sich; sie schwappt in das nun weit geöffnete Gedanken- und Gefühlsnetz des Patienten und kann sich auf diese Weise so verteilen und differenzieren, dass man hier von unbewusster, selbstregulatorischer Neuordnung sprechen kann. Der Schwerpunkt dieses Vorganges ist prozess- und nicht deutungsorientiert – Deutungen spielen nur eine untergeordnete Rolle.

Auf welche Weise sich derartige Motive spontan einstellen können, wie sie sich autonom weiterentwickeln und welche Wirkung sie hinterlassen, mache ich an einem Beispiel deutlich:
Der Patient, ein katholischer Geistlicher, suchte mich auf, weil er ständig einen Druck in seiner Brust verspürte und die ihn untersuchenden Ärzte keinerlei organische Ursache finden konnten. Der etwa 50zigjährige Patient erhoffte sich mittels hypnotischer Behandlung dieses schmerzhafte körperliche Phänomen beseitigen zu können. Er sagte, dass dieses Gefühl in bestimmten Phasen seines Lebens immer wieder auftauchen würde – und dann, vollkommen unerwartet, wieder in den Hintergrund tritt. Er habe keine genaue Idee, woher dieses seltsame Gefühl kommen könne.

Ich erklärte dem Patienten, auf welche Weise das Unbewusste arbeitet und sortiert und bat ihn, sich auf den Druck in seiner Brust zu konzentrieren und eine geistige Haltung entstehen zu lassen, in der er nichts bewusstes erwarten solle. Nach einiger Zeit hatte er diese Haltung hergestellt und teilte es mir mit. Daraufhin bat ich sein Unbewusstes, dass es auf seine Weise, ungefiltert, Szenen hochsteigen lasse, die mit diesem Gefühl in Zusammenhang stehen, Szenen jeglicher Art und Weise. Hierauf tauchten spontan verschiedene Szenen aus seiner Kindheit auf. Plötzlich kippte das Szenarium, der Patient sprach von einem schwarzen Tunnel, einem langen, düsteren Gang. Das Bild ängstigte ihn, er wurde dabei sehr unruhig. Ich lobte den Patienten und animierte ihn, bei diesen inneren Eindrücken zu bleiben und sie nicht bewusst zu steuern oder in eine andere Richtung zu lenken. Er tauchte daraufhin noch tiefer in das Schwarz hinein und berichtete mit zögerlicher Stimme, dass er furchtbare Fratzen, vollkommen entstellte Gesichter sehen würde, Gesichter von Unbekannten. Er sprach fast im Flüsterton und meinte, dass er den Tod sehe. Der Tod kommt und nimmt ihn an seine Hand und fliegt mit ihm weg. Diese Flugszene schildert er relativ ruhig, fast erleichtert. Er sagte, dass er tot sei, aber doch nicht tot sei. Schließlich tauchen Szenen aus seinem frühesten Lebensabschnitt auf, er sieht sich in seinem Kinderbett liegen. Der Tod ist kleiner geworden und sitzt, fast hilflos, am Rand des Kinderbettchens. Der Tod sieht nun nicht mehr bedrohlich aus, der Patient ist sichtbar erleichtert. Dann fliegt der Tod über das Kinderbett und setzt sich auf die Gitterstäbe des Bettchens. Der Patient sagt, dass der Tod nun keine Macht mehr über ihn ausübe, er sei viel zu klein und schwach.
Während der Mann dieses Erlebnis schilderte, wurde er immer ruhiger und machte zum Ende einen fast sachlichen Eindruck bei seinen Schilderungen, Am Ende der Sitzung ist der Patient erleichtert und fühlt sich gut.

Kommentar:
Der Patient war kurz nach seiner Geburt in einer lebensbedrohlichen Situation. Er musste notoperiert werden und nach der Operation noch etwa ein halbes Jahr im Krankenhaus auf der Intensivstation liegen. Die Ärzte hatten den kleinen Jungen schon aufgegeben, alles rechnete mit seinem Sterben. Doch er starb nicht und erholte sich langsam. Dieses traumatische Ereignis hatte der Patient nie durchgearbeitet - es kam während des hypnotherapeutischen Vorgehens spontan zum Vorschein und wurde, angereichert mit der entsprechenden Symbolik, in sein Affektgeäst neu integriert. 

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